Unesco - Praxisbeispiel zur Erhaltung immateriellen Kulturerbes
Ars Vivendi und die Unseco-Komission - ein Erfahrungsbericht:
„Deutschland ist dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes 2013 beigetreten. Dieser Schritt ist eine Wertschätzung und Anerkennung überlieferten Wissens und Könnens.[…] Ziel ist, die Vielfalt des lebendigen Kulturerbes in Deutschland und weltweit zu erhalten, zu pflegen und zu fördern.“ (Quelle: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-weltweit/unesco-uebereinkommen)
Wir wurden hellhörig: Das ist genau das, was wir tun!
Spätestens an dieser Stelle fühlten wir uns direkt angesprochen:
„Das Register Guter Praxisbeispiele ist Teil des bundesweiten Verzeichnisses immateriellen Kulturerbes. Es fördert erfolgreiche und innovative Modellprogramme in Deutschland, die zu einer nachhaltigen Entwicklung, Pflege und Weitergabe immateriellen Kulturerbes beitragen.“ (Quelle: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/gute-praxis )
Wir vermitteln und präsentieren historische Handwerkstechniken, Kleinkunst und Kultur, anlässlich historischer Veranstaltungen oder im Rahmen partizipativer Bildungsangebote und musealer Veranstaltungen. So bringen wir seit 2006 den Menschen einen „bunten Strauß“ von erlebbarer Kultur näher, gemäß unseres Vereinszwecks: Förderung, Bewahrung und Vermittlung historischen Kulturgutes. (Näheres zu unseren Vereinszielen finden Sie hier >>>)
Die Bewerbung
Erstmalig im Jahr 2017 bewarben wir uns um die Aufnahme in das bundesweite Register Guter Praxisbeispiele zur Erhaltung immateriellen Kulturerbes bei der Deutschen UNESCO-Kommission.
Die Erstellung der Bewerbung war sehr aufwändig und zugleich ungemein spannend, denn sie bewirkte bei uns sehr intensive und produktive Reflexionsprozesse.
Zu den vielfältigen Kulturformen, die im Konzept der Ars Vivendi Veranstaltungen enthalten sind, zählen unter anderem Flechthandwerk, Märchenerzählen, das Backhandwerk und die Falknerei. Die Bewerbung für das Register der Guten Praxisbeispiele bedeutet, dass nicht diese einzelnen Kulturformen an sich in das Register aufgenommen werden sollen. Vielmehr soll die besonders wertvolle und gute praktische Umsetzung gewürdigt werden. Trotz dieser eigentlich vorgesehenen Differenzierung hat die niedersächsische Jury entschieden, dass unser Gutes Praxisbeispiel „Ars Vivendi“ zu viele bereits gelistete Kulturformen enthält und „deshalb sei kein Gewinn durch eine Eintragung auf die nationale Liste zu erkennen“. Diese Auffassung können wir nicht teilen, denn der besondere Wert unserer Projekte beruht auf jener großen Vielfalt, die es den Besuchenden ermöglicht, auf einer einzigen Veranstaltung mit verschiedenen Kulturformen in Berührung zu kommen. So erschließen wir diese für ein breites Publikum, dass ohne die Einbettung in ein attraktives Gesamtkonzept keinen Zugang zu diesen Themen herstellen könnte oder würde. Ars Vivendi fungiert hier als eine Plattform, die diverse Interessen auch jenseits des bisherigen Erfahrungshorizontes wecken kann.
Die Bewerbung wurde noch einmal gründlich überarbeitet und im Jahr 2019 erneut eingereicht. Frau Dr. Marguerite Rumpf, Europäische Ethnologin/Kulturwissenschaftlerin mit den Forschungsschwerpunkten Erlebnisgesellschaften und Mittelalterezeption, verfasste ein fachliches Begleitschreiben. In diesem empfahl sie, Ars Vivendi „als vermittelnde Institution von historischen Handwerkstechniken und Festkultur über Grenzen hinweg, […] in das Register Guter Praxisbeispiele der Erhaltung immateriellen Kulturerbes aufzunehmen“. Auch Prof. Dr. phil. Sven Kommer, u.A. DFG-Forschungsgruppe „Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart“, unterstützte unseren Antrag mit einem Empfehlungsschreiben.
Dennoch erhielten wir eine weitere Absage. Auch hier waren die Argumente für uns nicht ganz nachvollziehbar. Die Jury führte erneut an, dass zu viele bereits gelistete Kulturformen in unserem Projekt enthalten seien. Die Begründung dafür, die wir an früherer Stelle in diesem Text erläutert haben und die auch in unserem neuen Antrag ausführlich thematisiert wurde, wurde von der Jury leider nicht beachtet.
Das zweite Argument der Absage war die Einstufung als "kommerzielles Projekt". Darauf möchten wir kurz eingehen, da es uns ein Bedürfnis ist hier auf etwas hinzuweisen:
Kommerzialität wird, insbesondere im staatlich geförderten Kulturbetrieb, oft als etwas Negatives verstanden. Die Narrative ist, dass gewinnorientierte „Geschäftemacher“ ein Thema oder eine Tradition "ausschlachten" um sich daran zu bereichern – ohne ein genuines Interesse an den Inhalten und ohne damit höhere Werte zu verfolgen.
Hier stellt sich jedoch die Frage, wie der Erhalt von immateriellem Kulturerbe funktionieren kann, ohne jene die das immaterielle Kulturerbe pflegen und auch beruflich ausüben. Jene brauchen Unterstützung und Plattformen, auf denen sie gemeinsam mit anderen ihren Lebensunterhalt verdienen können. Provokant gesagt: hilft es, nur ein „Vom Aussterben bedroht"-Schildchen anzuhängen, um eine Kulturform vor dem Verschwinden zu bewahren? Wir glauben, dass eine Kulturform bewahrt wird, indem sie gelebt wird. Darauf müssen Maßnahmen folgen – und jene ergreifen wir von Ars Vivendi. Der Erfahrungs- und Wissensschatz unserer Mitglieder ist gerade deshalb so groß, weil sie ihre Tätigkeiten hauptberuflich ausüben, ihnen also über viele Jahre hinweg den größten Teil ihrer Zeit widmen. Beruf wird hier als Berufung verstanden und nicht als Mittel zum Zweck.
Kommerziell wären wir, wenn wir bewusst Gewinne anhäuften, verdiente Gelder in die Taschen Weniger flössen und die Gewinne nicht dem Vereinszweck zugutekämen. Davon kann bei Ars Vivendi keine Rede sein. Stattdessen steht bei uns der Gedanke der Solidarität im Vordergrund (Näheres dazu hier).
Gerade die Pandemiejahre haben uns gezeigt, wie wichtig der Zusammenhalt und die Vielfalt in unserer Gemeinschaft sind, um die von uns ausgeübten Kulturformen tragfähig für die Zukunft zu bewahren. Das Label "Immaterielles Kulturerbe" wäre für uns sicher sehr wertvoll gewesen. Doch viel wertvoller sind uns die vielen positiven Rückmeldungen unserer Gäste und die Erfahrungen, die sie mit nachhause nehmen können. Unsere Stärken liegen im Analogen, Berührbaren und Unmittelbaren. Durch den Bewerbungsprozess sind uns diese Qualitäten bewusster geworden.
Vielfalt und Solidarität bilden das Fundament, von dem aus wir unsere Arbeit ausbauen und entwickeln können – lebendig und gleichzeitig verbunden mit der Tradition. Wir sind gespannt auf die nächsten Jahre!
Unsere Bewerbung 2019 (PDF 10 MB)
Bilder zur Bewerbung (PDF 2,4 MB)